Gedanken einer Pilgerreise

Pilgern liegt mittlerweile im Trend. Vor allem der Jakobsweg nach Santiago de Compostela im spanischen Galicien ist beliebt. Nicht erst seit Hape Kerkelings Buch „Ich bin dann mal weg“ entsteht in unserer Gesellschaft, die immer schnelllebiger wird, wo jeder über Smartphone und Internet ständig erreichbar sein muss, das Bedürfnis zur Ruhe, zu sich selbst kommen zu wollen. Rudi Wucherpfennig aus Seulingen ist den Jakobswegs 2007, 2014 und 2016 auf verschiedenen Streckenverläufen gepilgert. Jedes Jahr zu Pfingsten fährt er mit seiner Pilgertruppe nach Forchheim, um dort zu pilgern. Die SIXPACK-Redaktion hat ihn gebeten über seine langjährigen Pilgererfahrungen zu berichten und ihn nach Tipps für interessierte Einsteiger gefragt.

Pilgern, was ist das eigentlich?

Da stellt sich doch zuerst einmal die Frage „Pilgern, was ist das eigentlich?“ Der Begriff Pilger stammt vom lateinischen Wort „Peregrinus“ ab, was so viel bedeutet wie „In der Fremde sein.“
Das Wallfahren und Pilgern ist eine uralte Tradition der verschiedenen Weltreligionen. Der Anlass einer Pilgerreise kann eine auferlegte Buße, die Erfüllung eines Gelübdes in einem besonderen Anliegen, die religiöse Vertiefung des Glaubens oder auch die Abstattung von Dank für etwas ganz Besonderes sein. Das Ziel ist immer ein als heilig bezeichnender Ort, etwa eine Wallfahrtskirche, ein Tempel, ein Kloster oder sonst ein besonderer Gnadenort. Wallfahrtsorte, wie Jerusalem, Rom, Mekka, Lourdes, Fatima, Santiago de Compostela und viele mehr, sprechen für sich und werden auch heute noch vielfach aufgesucht. Die Reliquienbewegung ist eng mit dem Pilgerwesen verbunden.
 In säkularisierten Gesellschaften wird das Pilgern gern auch als eine Form des Wanderns beschrieben. Dennoch bin ich der Meinung hat eine Pilgerreise immer einen tieferen Sinn. Auch der Wunsch nach Selbsterfahrung und Entschleunigung das Ausbrechen aus dem Alltag sowie die Begegnung mit Menschen aller Erdteile, Weltanschauungen und Altersklassen machen eine Pilgerreise bedeutsam. Pilgern ist letztendlich etwas unerklärlich wunderbares, was nicht in Worte zu fassen ist, sondern nur selbst erlebt werden kann auf einem der vielen verschiedenen Pilgerwege.

Der Jakobsweg

Heute möchte ich etwas näher auf den Jakobsweg eingehen. Santiago de Compostela ist nach Rom und Jerusalem das drittgrößte Wallfahrtsziel der Christenheit. Nachdem die Reise nach Jerusalem durch die Kreuzzüge zu unsicher geworden war, entwickelte sich Santiago de Compostela schnell zu einem bedeutenden Pilgerziel. Ritterorden wie die Tempelritter und die Santiagoritter kümmerten sich um die Sicherheit am Jakobsweg.
 Vom 11. bis 13. Jahrhundert erlebte der Jakobsweg seine Blütezeit. Bis zu 1000 Pilger aus dem christlichen Europa pilgerten täglich nach Santiago ans Apostelgrab des Hl. Jakobus. Von 1078 bis 1211 wurde die Kathedrale von Santiago gebaut. 1122 rief Papst Calixt II. das Hl. Jahr aus, was seitdem besonders gefeiert wird, immer dann, wenn der 25. Juli (Namenstag des Jakobus) auf einen Sonntag fällt. Das nächste Hl. Jahr wird erst wieder 2021 sein. Im 15. Jahrhundert führten Pest-Epidemien, die Spaltung der Christenheit durch die Reformation und Religionskriege zum Abflauen der Pilgerbewegung.
 Auch Räuber und Scheinpilger machten den Jakobsweg unsicher. Dadurch kam die ohnehin schwer angeschlagene Pilgerbewegung nahezu zum Erliegen. Im 18. Jahrhundert war das Pilgerwesen wegen seiner Nähe zum Aberglauben verpönt. Am 25. Juli im Hl. Jahr 1867 fanden sich gerade noch 40 Pilger zum Festgottesdienst ein. Ein leichtes Aufflackern der Wallfahrten fand durch den spanischen Bürgerkrieg 1936 bis 1939 ein jähes Ende. Erst nach dem Ende der Franco Diktatur 1975 und der Verabschiedung der demokratischen Verfassung (1978) rückte das Apostelgrab und der Jakobsweg wieder ins Bewusstsein. Papst Johannes Paul II. besuchte 1982 und 1989 die Apostelstadt. 1987 wurde der Camino de Santiago zum europäischen Kulturweg ernannt und 1993 in die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO aufgenommen.
Der Weg wurde nach und nach besser ausgezeichnet und ausgebaut. Die Anzahl der Pilger stieg stetig an. Im Hl. Jahr 2004 wurden 180.000 Pilgerurkunden ausgestellt, 2010 bereits 190.000. Die meisten Pilger kommen aus Spanien, Deutschland, Italien, Portugal und Frankreich.

Warum macht das Leben auf dem Jakobsweg so glücklich?

Die meisten Pilger erleben den Weg als eine glückliche und bereichernde Erfahrung, von der man lange zehren kann. Die Beschwerden treten in den Hintergrund. Einmal innerlich richtig auf dem Weg angekommen, fühlen sich Körper und Geist im Gleichgewicht und erlauben den Pilgern sich im Hier und Jetzt mit allen Sinnen zu Hause zu fühlen. Alle Sorgen verlieren mit jedem Schritt auf einmal an Bedeutung, die bereichernden Begegnungen mit interessanten Menschen sowie die sportliche Betätigung, vermitteln ein gutes Körperbewusstsein und man fühlt sich rundum wohl in seiner Haut. Allein das ist für viele Menschen genug Motivation sich auf den Jakobsweg zu begeben und dort eine sehr glückliche und erfüllte Zeit zu verbringen.

Praktische Tipps

Wer für sich eine Pilgerreise plant, sollte vielleicht folgende Schritte bedenken:
1. Zielort, Wegstrecke, Reisedauer und Reisezeit festlegen. Am besten rückwärts rechnen, ausgehend vom Zielort die Tagesetappen (max. 30 km) in Abhängigkeit der Reisedauer zählen und dort starten. Lieber etwas Spielraum lassen, damit der Zielort auch sicher erreicht werden kann. Eventuell auch etwas Aufenthalt am Zielort einplanen, um sich die Sehenswürdigkeiten in Ruhe anschauen zu können.
2. Sich diesbezüglich Informationen einholen. Gerade über die verschiedenen Jakobswege, aber auch über das Pilgern allgemein gibt es sehr viele und gutbeschriebene kleine Handbücher.
3. Nun gilt es, eine Entscheidung zu treffen. Gehe ich den Weg allein, zu zweit oder in einer Gruppe. Hierbei sollte jedoch immer bedacht werden, das eine Pilgerreise kein Wellnessurlaub, sondern eher ein Abenteuer ist. Die Belastungen für den Körper durch die Wegstrecke, das Tragen des Rucksacks, mitunter fehlende Hygiene, schlechter Schlaf in den Herbergen, ein ungewohnter Tagesablauf, anderes Klima und Ernährung, das alles in Summe kann im zwischenmenschlichen Bereich zu Spannungen untereinander führen.
4. Entsprechend dem Startpunkt, die Anreise sowie die Heimreise vom Zielort planen.
 5. Nicht vergessen, sich einen Pilgerausweis zu bestellen, denn er dient als Ausweisdokument während der Pilgerreise, berechtigt den Pilger in den Herbergen zu übernachten und ist für den Erhalt einer Pilgerurkunde (Compostela) der notwendige Beweis über die Pilgerschaft. Solch eine Compostela bekommt nämlich nur, wer mit Stempeln im Pilgerausweis belegt, mindestens die letzten 100 Kilometer zu Fuß nach Santiago zurückgelegt zu haben.
6. Nun sollte jeder für sich prüfen, hält mein Körper diese Strapazen aus? Bin ich soweit gesund und belastbar solch eine Pilgerreise zu unternehmen?
7. Eingedeckt mit der entsprechenden Ausrüstung, bitte aber nur so viel wie unbedingt nötig ist, denn jedes Kilogramm mehr im Rucksack muss getragen werden und das ist auf Dauer schon eine große Belastung. Pflaster, Salben, Tabletten usw. nicht vergessen. Auch ein gültiger Personalausweis muss beim Einchecken in den Herbergen immer vorgelegt werden.
8. Nun kann es losgehen. Die Tagesetappen bitte nicht zu lang wählen. Das Unterwegs sein einfach nur genießen und so viel wie möglich positive Energie der anderen Pilger aufsaugen, denn alle haben das gleiche Ziel und ähnliche Probleme. Getreu dem Motto: „Gemeinsam sind wir stark!“
9. Ein ganz besonderer Moment ist das Ankommen am Zielort „Santiago de Compostela“. Die Emotionen können nicht beschrieben, sondern nur selbst erlebt werden. Das Gefühl, es geschafft zu haben, ist überwältigend. Hinzu kommt, eine ganz besondere Stimmung in Santiago. Man bekommt sofort den Eindruck, hier bist du als Pilger und Mensch herzlich willkommen. Ein ganz besonderes Erlebnis ist dann der jeden Tag stattfindende Pilgergottesdienst in der Kathedrale. Wer es irgendwie einrichten kann, sollte noch ein oder zwei Tage in Santiago verweilen, um diese wunderbare Stadt und die Lebendigkeit der vielen Menschen zu genießen.

Schlusswort

Am Ende stellt sich dann doch noch einmal die Frage: Was hatte diese Pilgerreise für mich ganz persönlich für eine Bedeutung? Hatte es für mich einen tieferen Sinn oder habe ich es getan, weil es zur Zeit in Mode ist? War es für mich im Moment die etwas andere Art meinen Urlaub zu gestalten oder vielleicht nur eine religiöse Wanderung mit vielen Gleichgesinnten?
Ich möchte es für mich einmal so beschreiben: Pilgern ist eine Lebenserfahrung, wo Körper und Geist gleichermaßen gefordert werden. Man bricht aus seinem Alltag aus und wird entschleunigt, denn Zeit spielt auf einer Pilgerreise nur eine sehr untergeordnete Rolle. Auch was im Leben wichtig ist, wie wenig man im Moment dafür benötigt und wie glücklich eine Pilgerreise machen kann, wird dann besonders deutlich. Eine tolle Gemeinschaft untereinander, viele nette Begegnungen und offene Gespräche mit den Menschen geben Kraft und schaffen Mut für den Alltag, der sich natürlich wieder einstellt. Man kann aber hoffen, dass all die Erfahrungen und Eindrücke noch lange nachwirken und uns durch das weitere Leben tragen.
Bei wem dieser Artikel nun eine gewisse Neugierde geweckt hat, Rückfragen oder Gesprächsbedarf sieht, der kann gern mit mir Kontakt aufnehmen (über das Pfarrbüro Seulingen).
In diesem Sinne wünsche ich allen Lesern „Buen Camino“, was sinngemäß übersetzt bedeutet: „geh deinen Weg“, denn nur auf deinem eigenen Weg kannst du von niemanden überholt werden!

erschienen im Pfarrmagazin SIXPACK 1/2017